Das Profil „Humanistische Bildung“

Seit dem Schuljahr 2017/18 bieten wir für unsere Schülerinnen und Schüler ab Klasse 7 das Profil „Humanistische Bildung“ an.

In diesem Rahmen können die Schülerinnen und Schüler unseres Gymnasiums in Klasse 7 im Wahlunterricht den Kurs „Erlebniswelt Antike“ anwählen, der ab Klasse 8 mit Griechisch als freiwilliger 3. Fremdsprache weitergeführt werden kann. Latein als 2. Fremdsprache kann unabhängig davon zusätzlich angewählt werden.

Worin liegt der Sinn einer humanistischen Bildung und warum sollte man sich auch heute noch mit den Themen und der Kultur der Antike auseinandersetzen?

Zum Einen werden diese beiden Sprachen analysiert und die Texte übersetzt. Die Unterrichtssprache ist Deutsch. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten sich einen genauen Überblick über die Grammatik der Fremdsprache im Vergleich und Kontrast zu unserer Sprache. Dieser Sprachenvergleich fördert in besonderem Maße die Reflexion über und die Ausdrucksfähigkeit in der eigenen Sprache: Bei jeder Übersetzung ist die Intention des antiken Autors zu berücksichtigen und im Übersetzungsprozess möglichst originalgetreu und doch zielsprachengerecht in unserer Sprache wiederzugeben. Jede Übersetzung ist in gewissem Maße schon eine Interpretation. Bei jeder Übersetzung sind die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, möglichst genau, konzentriert und selbstständig zu arbeiten – Schlüsselqualifikationen, die ebenso wie Ausdauer auch im späteren Berufsleben immer wieder relevant sind.

Aber nicht nur die Sprache an sich soll im Vordergrund der beiden Fächer stehen: Inhaltlich beschäftigen sich die Texte mit vielfältigen Themengebieten: Liebe, Trauer, Sehnsucht, Heimweh, Zorn, Hass, Krieg, Frieden, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Gewissen und Schuld

Odysseus z.B. hat nach langen Irrfahrten auf dem Meer die Chance auf Unsterblichkeit und das Leben an der Seite einer Göttin. Wird er sich gegen seine Familie entscheiden?

In den Tragödien antiker Dichter stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit der Hauptprotagonist persönlich Schuld an seinem Unglück hat. Oder ist etwa alles Schicksal?

Die Philosophieschulen der Stoiker und Epikureer bezogen schon früh Stellung zur Work-Life-Balance und der erste Geschichtsschreiber Herodot liefert Antworten auf die Frage, wer denn der glücklichste Mensch auf Erden ist.

Nicht zu vergessen ist Sokrates, der mit seinen Fragen seine Mitbürger auf ihr Scheinwissen stieß und sich deshalb in seiner Heimatstadt Athen äußerst unbeliebt machte und sogar vor Gericht gezogen wurde. Auch seine Verteidigung und sein Standpunkt, den er in dieser Rede darlegt, sollen im Unterricht behandelt werden.

In Caesars „De bello Gallico“ untersuchen wir, wie mit geschickt plazierten Worten und Aussagen Leserlenkung praktiziert wurde, während Cicero mit seinen scharfen Worten die Rhetorik und Atmosphäre des Senats auferstehen lässt.

In Vergils Epos stellt sich die Frage, wie viel Kritik an dem mächtigsten Mann seiner Zeit – Augustus – versteckt ist, wohingegen der Dichter Catull den Fokus auf seine unglückliche Liebe lenkt.

Odi et amo. Quare id faciam fortasse requiris.

Nescio, sed fieri sentio et excrucior.

Ich hasse und ich liebe. Du fragst vielleicht, warum ich dies tue.

Ich weiß es nicht, aber dass es geschieht, fühle ich und ich werde gefoltert.

(Catull, carmen 85)

 

Über diese Inhalte möchten wir uns mit den Schülerinnen und Schülern kritisch auseinandersetzen und diskutieren. Dabei soll nicht allein der antike Gesichtspunkt erörtert werden, sondern ebenso die Situation aus heutiger Sicht beleuchtet und beurteilt werden. In welchem Kontext hat der- oder diejenige damals seine/ihre Entscheidung getroffen? Ist dieser Kontext in unsere heutige Zeit übertragbar? Welche Entscheidung würden wir an dieser Stelle heutzutage treffen? Die antiken Texte bieten uns eine Vielzahl an Beispielen für menschliches Denken und Handeln. Indem man aus der Distanz der heutigen Zeit die Entscheidungen dieser Menschen moralisch und ethisch analysiert und persönlich dazu Stellung bezieht, entwickelt man in besonderem Maße seine eigene Persönlichkeit weiter.

Und das soll letztendlich „Humanistische Bildung“ bedeuten: Humanistisch leitet sich ab von dem lateinischen Wort humanitas – „die Art, Mensch zu sein“, was so viel meint wie „menschlich denken und handeln zu können“: keine Vermittlung von theoretischen Wissen, sondern eine persönliche Weiterentwicklung, die Fähigkeit, bei all dem Wissen, das man sich im Leben noch aneignen wird, menschlich denken und handeln zu können und sich in der heutigen Zeit und im heutigen Europa zurechtfinden zu können.

Die Wurzeln unserer europäischen Kultur liegen im antiken Griechenland und Italien. Latein und Griechisch zu lernen, bedeutet auch, sich ein vertieftes Verständnis über unsere Kultur anzueignen: Wie entstand die erste Demokratie? Wie hat sich unsere heutige Demokratie weiterentwickelt? Was ist gemeint, wenn wir von Sisyphosarbeit, Klienten, Narzissmus und Chaos sprechen?

Neugierig geworden? – Antworten gibt es definitiv im Humanistischen Profil des Jahngymnasiums!

 

Organisatorisches:

Die Schülerinnen und Schüler können in Klasse 7 mit der neuen Fremdsprache Latein beginnen im Rahmen von 4 Stunden. Im Wahlunterricht (2 Stunden pro Woche) belegen sie den Kurs „Erlebniswelt Antike“.  Hier setzen sie sich vertiefend mit der antiken Kultur auseinander in den Bereichen Mythologie und ihrer Rezeption in der heutigen Welt, Religion, Totenkult und Götterstammbäume, Sport und die Ursprünge der Welt. Der Kurs gewährt auch Einblicke in große Kulturen anderer Länder wie z.B. Ägypten. Die kreative Auseinandersetzung mit den Themengebieten steht im Vordergrund.

Altgriechisch beginnt als dritte Fremdsprache erst in Klasse 8 und findet in Klasse 8 und 9 im Rahmen des Wahlunterrichts (2 Stunden) sowie jeweils in einer ILZ-Zeit statt. Latein wird mit 4 Stunden fortgeführt.

Ab Klasse 10 findet der Griechischunterricht vollständig im Wahlunterricht statt und umfasst 4 Stunden in der Woche.

In der Oberstufe können Latein und Griechisch als Grundkurs oder Leistungskurs angewählt werden. Ende Klasse 12 kann das Latinum und das Graecum erreicht werden.

Es ist auch möglich, sich zu Beginn der 8. Klasse für Griechisch und damit für das humanistische Profil zu entscheiden – ohne Vorkenntnisse aus Latein und dem Kurs „Erlebniswelt Antike“ und somit zumindest in eine der beiden Sprachen einen detaillierten Einblick zu erhalten.

Natürlich werden auch  – unterstützt durch die Altsprachenstiftung des Jahngymnasiums – Exkursionen sowohl in der Mittelstufe als auch Oberstufe stattfinden: z.B. nach Ankershagen in das Schliemann-Museum, nach Trier in die alte Römerstadt oder an den Limes, nach Rostock ins Archäologische Institut, nach Berlin ins Antikenmuseum sowie natürlich nach Rom und Griechenland